Commons

Der Vortrag “Die Welt gehört uns allen!“  mit Silke Helfrich wurde ins Netz verlegt

Was sind Commons ?

Commons sind gemeinsam hergestellte, gepflegte und genutzte Produkte und Ressourcen unterschiedlicher Art. Im Deutschen gibt es dafür das Wort Gemeingüter, was aber zu sehr auf die Ressourcen oder Produkte („Güter“) fokussiert. Daher verwenden wir auch im Deutschen das Wort Commons. Das Wort Commons mit „s“ steht dabei sowohl für die Einzahl wie für die Mehrzahl, es gibt also das Commons und die Commons.

Interview Silke Helfrich - Rüdiger Sinn

Silke Helfrich

 

Silke Helfrich ist Mitbegründerin des Commons-Institus und des Netzwerks Ökonomischer Wandel (NOW). Im Interview spricht sie über die Abhängigkeiten von Markt und Staat, dass es gelingende Beziehungen braucht und warum etwa die Solidarische Landwirtschaft ein Beispiel ist, an dem man sehen kann, wie Commons funktionieren. 

Interview: Rüdiger Sinn

Was bedeutet eigentlich „Commons“ genau, wie würden Sie das übersetzen?

Commons sind gemeinsam hergestellte, gepflegte und genutzte Dinge unterschiedlicher Art. Im Deutschen gibt es dafür das Wort Gemeingüter, was aber zu sehr auf die „Güter“ fokussiert. Es geht aber nicht nur um die Güter, sondern auch um uns. Darum, wie wir mit den Dingen umgehen, wo ich mit anderen Verantwortung für etwas übernehme. Daher verwenden wir auch im Deutschen das Wort Commons.

 

Ihr aktuelles Buch heißt „Frei, fair und lebendig – Die Macht der Commons“. Im Vorwort heißt es, das Buch zeige sowohl Alternativen zum Kapitalismus als auch zum untergegangenen Staatssozialismus auf. Was läuft aus Ihrer Sicht beim Kapitalismus falsch?

Das steckt schon im Begriff! Kapitalismus heißt: Kapital wird zur Geisteshaltung. Alles wird auf Kapitalisierung ausgerichtet, alles muss sich rechnen: unser Wirtschaften, unser Denken und sogar unser Fühlen. Eine solche Ideologie ist langweilig und fantasielos. Sie erzeugt immer wieder die gleichen Probleme: die Spaltung der Gesellschaft, die Erschöpfung der Menschen und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.

Und was kritisieren Sie am Staatsozialismus?

Auch im Staatssozialismus werden Waren produziert und dann gegen Geld getauscht. In beiden Systemen bestimmen nicht die Menschen selbst, sondern externe Instanzen, was wie für wen zu produzieren ist. Auf der einen Seite ist das „der Staat“ (also die Funktionäre der jeweiligen Staatspartei) und auf der anderen Seite die Vorstände, die CEOs oder eine Abstraktion: „der Markt“. 

Sie sprechen in ihrem Buch vom Markt-Staat. Was meinen Sie damit?

Beide Institutionen sind auf’s Engste verknüpft. Nicht nur der Markt ist vom Staat abhängig, auch der Staat hängt existentiell am Tropf des Marktes. Diese Verknüpfung ist auch der Schlüssel zum Verständnis vieler Phänomene, die wir in der Corona-Krise erleben – im bizarren Gegensatz zur Klimakrise. Plötzlich fließen Milliarden, es scheint Geld im Überfluss zu geben. Der Grund: unser Staatswesen ist vom Wohl und Wehe der Marktwirtschaft nicht nur abhängig. Es ist ihr ausgeliefert! Die jetzige Krise trifft daher sowohl die Wirtschaft als auch das politische System ins Mark. Das macht es so schwer, über Markt und Staat hinauszudenken, obwohl gerade dies dringend geboten ist.

Sie engagieren sich also für Commons, weil sie über Markt und Staat hinausweisen?

Ja, und zwar nicht nur im Bereich des Wirtschaftens. Wer anders wirtschaften will, braucht schließlich auch andere Regeln, Entscheidungsverfahren, Technologien und Handlungslogiken, eine andere Haltung. Mit „Commons“, einer Sphäre „jenseits von Markt und Staat“, wie Elinor Ostrom formulierte ist so eine andere Haltung gemeint. Ostrom ist die erste Frau, die jemals den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Das war 2009, kurz nach der Finanzkrise. Man erinnerte sich daran, dass Wirtschaften mehr ist als Waren produzieren, aber die meisten Wirtschaftswissenschaftler und sogenannten Wirtschaftsweisen wissen entweder nichts darüber oder sie blenden es aus.

Wir sehen nicht, wie viel an anderen Faktoren hängt: zum Beispiel an gelingenden Beziehungen  oder an gerechter Vorverteilung von grundlegenden Dingen, die wir alle zum Leben brauchen: etwa Land, Wohnraum, Wissen und Bildung. 

Wie meinen Sie das?

Nun, das dominierende Wirtschaftsverständnis geht mit der Idee einher, jeder sei des eigenen Glückes Schmied. Ein Kollege hat das kürzlich so kommentiert: „Wir sind alle fremdversorgte Fremdversorger und denken uns als Selbstversorger von Geld.“

Die Beziehungen, von denen Sie gesprochen haben, lassen sich schlecht in Geld messen …

Genau, wir sind Beziehungswesen, werden quasi „durch“ die anderen zu individuellen Persönlichkeiten. Ich und Wir stehen sich nicht entgegen. Das eine ist ohne das Andere gar nicht denkbar. Doch wir hängen nicht nur von Anderen in vielfältiger Weise ab, so wie sie auch von uns, sondern auch von Lebensräumen. In der Fachsprache nennt man dieses Netz gegenseitiger Abhängigkeiten Interdependenz.

Ein Wirtschaften, das die Interdependenz im Blick behält würde die Ausbeutung von Naturreichtümern auf Kosten künftiger Generationen ebenso wenig akzeptieren wie die Absurdität, dass in Bulgarien ausgebildete Chirurginnen aufgrund der Arbeitsmarktlage in Deutschland operieren oder unser Gesundheitsminister in Mexiko Pflegekräfte anzuwerben sucht, geradeso als gäbe es in in Bulgarien und Mexiko keinen Bedarf an Chirurginnen oder Pflegekräften. Es wäre ein Wirtschaften, das sich nicht nur auf die eigenen Bedürfnisse bezieht, sondern die Bedürfnisse der anderen mitdenkt.

Das erinnert an Projekte und Initiativen in denen Menschen selbstbestimmt, eigenverantwortlich, aber gemeinsam etwas tun: Repair-Cafés, Tauschringe, die Solidarischen Landwirtschaften, deren Zahl seit einem Jahrzehnt beharrlich wächst, Car-Sharing-Initiativen, Wohnprojekte und vieles mehr. Was machen sie besser?

Sie überlegen sich, was sie wirklich wollen und was sie brauchen. Sie organisieren sich selbst und finden Möglichkeiten, Probleme zu lösen, die „den Markt“ nicht interessieren: etwa Dinge zu reparieren, statt neue zu kaufen und dabei gleichzeitig Wissen auszutauschen und Begegnungsräume herzustellen. Gemeinschaften und Netzwerke sind multifunktional. Das kann man gar nicht überschätzen. Es geht nämlich nicht nur darum, ob effizient produziert wird. Es geht immer auch um sozialen Zusammenhalt, um Selbstwirksamkeit und um Souveränität.

Nehmen wir die Solidarische Landwirtschaft. Das Konzept existiert in vielen Ländern der Welt. In Deutschland gibt es inzwischen über 300 sogenannte SoLawis –  darunter ja auch in Sigmaringen, Tübingen, Rosenfeld usw.,. Eine Besonderheit ist, dass sie das Produktionsrisiko gemeinsam tragen. Auch zum Beispiel in diesen Dürrejahren! Die Mitglieder erhalten am Anfang des Wirtschaftsjahres Einblick in die Produktionsplanung und erfahren genau wieviel Geld gebraucht um, zum Beispiel, 50 Familien zu versorgen. Anschließend verpflichten Sie sich dazu, für ein Jahr einen monatlichen, selbstbestimmten Beitrag zu leisten. Die Methode nennt sich Biete- oder Beitragsrunde.

Bei einer Solawi wird gemeinsam gegärtnert und die Ernte danach solidarisch aufgeteilt

Sie meinen, beigetragen wird schon, bevor das Saatgut in die Erde kommt und nicht erst, wenn die Kartoffeln in den Einkaufskorb wandern?

Genau. Das ist im Prinzip ein unerhörter Vorgang, denn auf diese Weise wird der Anbau von Lebensmitteln – saisonal, vielfältig und ökologisch – vorab finanziert, ohne dass die Menschen tatsächlich wissen, wie groß der Ernteanteil ist, den sie dann bekommen. Das bedeutet, die Gurke in der Gemüsekiste ist keine Ware mehr, sie hat keinen Preis. Wie groß der Ernteanteil ist, den jedes Mitglied bekommt, ist zudem unabhängig vom konkreten Beitrag, den dieses Mitglied leistet. Wird wenig geerntet, wird das Wenige geteilt. Wird viel geerntet, wird das Viele geteilt. Ich kenne wenige Ökonomen, die sich eine Wirtschaft ohne Waren und ohne Preise überhaupt vorstellen können. Und doch existiert sie. Sie ist solidarisch – den Bauern gegenüber, aber auch weniger zahlungskräftigen Mitgliedern gegenüber. Und sie macht unabhängig, auch von Staatshilfen.
Derzeit wird übrigens viel darüber nachgedacht, wie diese Konzepte auf andere Bereiche übertragen werden können – etwa auf das Bauen oder die Wissensproduktion.

Viele Menschen stecken in Strukturen fest, die sie gar nicht daran denken lassen, sich zu engagieren oder Bereiche in ihrem Leben grundsätzlich zu ändern. Haben Sie eine Idee, wie jeder Mensch schon morgen etwas ändern kann?

Es sind nicht nur die Strukturen, in denen wir feststecken – obwohl das nicht zu unterschätzen ist. Es ist auch unser Denken. Aber der Kopf ist bekanntlich rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann. Weg von der Wachstumsorientierung. Hin zu regenerativem Wirtschaften. Weg von vertikalen Strukturen, hin zu „verteilten“ (P2P), heterarchischen Strukturen. Weg von der Kapitalorientierung hin zur Lebensdienlichkeit. Es ist ja so, die Ideen, die wir dem Wirtschaften zu Grunde legen, entfalten eine ungeheure Wirkung. Wenn wir uns das Wirtschaften wie einen Strom vorstellen, müssen wir darauf achten, dass niemand Gift in den Oberlauf kippt. Sondern Nährstoffe.

Ich bin ganz fasziniert davon, wie viele tolle Ideen und Initiativen es gibt, die dem anderen Wirtschaften Nahrung geben: von der Gemeinwohlökonomie über die Commons, von Postwachstumsansätzen bis zur Solidarischen Ökonomie. In unserem Buch beziehen wir uns auf fast 70 Projekte weltweit. Aber meistens haben die Menschen keine Zeit, weil sie in den alten Strukturen hängen. Also: reduzieren Sie ihre Stunden im „normalen Beruf“, wenn das möglich ist. Schaffen Sie sich Freiräume. Informieren Sie sich und gehen Sie dem nach, wohin ihr Gefühl sie zieht. Überall gibt’s viel zu tun.

In Ihrem Buch beschreiben Sie eine andere Form von Eigentum, jenseits von Privat- und Gemeinschaftseigentum. Können Sie das erklären? Ist es zukunftsweisend für unsere Gesellschaft?

Die Sprengkraft der Eigentumsfrage erkennen wir schon daran, dass auf die simple Idee, es sei genug, wenn eine Rechtsperson 3000 Wohnungen besitzt, ein Sturm der Entrüstung folgt. Das liegt auch daran, dass Menschen oft in zwei Polen denken, und oft glauben sie, das Eine sei das Gegenteil des Andern. Das Beispiel Markt und Staat hatten wir schon. Beim Eigentum ist das auch sehr interessant. Das Privateigentum, das in aller Munde ist, ist noch nicht einmal ein Rechtsbegriff. Es bezeichnet historisch all die Dinge, die nicht „heilig“ waren, die „außerhalb des Handels“ standen. Gemeineigentum kann aber auch gehandelt werden und das war schon immer so. Der Unterschied zwischen dem sogenannten Privateigentum und dem Gemeineigentum ist also nur graduell und nicht prinzipiell. Beim einen ist eine (Rechts-)Person Eigentümer, beim Anderen sind es mehrere Personen. Aber alle anderen bleiben im Prinzip ausgeschlossen. Dass Menschen miteinander entscheiden, ist natürlich keine Kleinigkeit, aber eben doch nichts prinzipiell Anderes. Nachdem uns das klar wurde, haben wir lange darüber nachgedacht, was dies jetzt für zukunftsfeste Eigentumsformen bedeutet — und wir haben ein bisschen in der Geschichte und bei gelungenen Commons-Projekten gesucht.

… und die Erkenntnis?

… ist zunächst, dass wir nicht drum herum kommen, Dinge zu „haben“, zu besitzen. Wir sitzen ja regelrecht auf der Erde, wir müssen uns Welt im Wortsinne einverleiben, damit wir leben können. Es geht nicht um „haben“ ober „nicht haben“. Es geht  darum, zu verstehen, dass das Haben – egal in welcher Rechtsform – immer auch unsere Beziehungen zu Anderen, zur Mitwelt und zu künftigen Generationen betrifft. Die Idee, „anders zu haben“ – wir sprechen vom „beziehungshaften Haben“  bedeutet einfach so zu haben, dass auch alle anderen gut leben können. Und es bedeutet, verfügbare Ressourcen so zu nutzen, dass diese Beziehungen nicht zerstört werden. Eine Sache tatsächlich zu gebrauchen (Besitz) und zu pflegen wird wichtiger, als sie „ausschließlich für sich zu haben“ (Eigentum).

Im ländlichen Raum wie zum Beispiel im Lkr. Sigmaringen hat man bisweilen den Eindruck als ob solche Themen wie Verkehrswende, Flächenverbrauch und Agrarwende überhaupt keine Rolle spielen und eher eine intellektuelle Diskussion von ein paar Städtern sind. Es gibt riesige Baugrundstücke, mehrere Autos pro Haushalt und Monokulturen auf den Feldern. 

Ja, es ist eine Tragödie. Ein Gefangensein im ewig selben: noch ein Gewerbegebiet, noch ein Einfamilienhaus aus dem Katalog monotoner Bauwerke; noch ein paar Jahrzehnte Schulden; noch mehr Versiegelung; noch mehr leerstehende Fläche, sobald die Kinder aus dem Haus sind; noch weniger Nutzung alter Bausubstanz; noch mehr Infrastruktur für den Individualverkehr. Bei dieser Einfallslosigkeit ist es kein Wunder, dass die junge Generation auf die Straße geht.

Auch Kommunalpolitikerinnen und -politiker können lernen zu denken wie Commoners. Sie können damit anfangen, das Glossar zur gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung zu lesen, gerade herausgegeben vom BBSR, dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: https://www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de/NSPWeb/SharedDocs/Publikationen/DE/Publikationen/glossar-zur-gemeinwohlorientierten-stadtentwicklung.pdf?__blob=publicationFile&v=6 Dort gibt es viel Inspiration für die Praxis. Oder Sie schauen mal auf die Seite des Netzwerks Ökonomischer Wandel (NOW). Dort heißt es: Eine sinnvolle Strategie für eine Transformation verbindet drei Wege:  Commons ausweiten, den Markt am Gemeinwohl orientieren und den Staat umfassend demokratisieren. Beteiligen Sie sich. NOW!